Marita Pabst-Weinschenk

 

Die Wirkung macht’s - Wie kommen Talkshows an?

Blitzlichter durch neue Untersuchungen und Fallbeispiele

 

Nach einer aktuellen Befragung (Stand: 30./31. Januar 2001) wünschen sich 65 % der Zuschauer weniger Talkshows im Fernsehprogramm, 27 % sind mit der Anzahl der Talkshows zufrieden und nur 6 % wünschen sich mehr Talkshows im Programm (2 % machten keine Angaben; Quelle: TV Movie, Emnid, zitiert nach Rheinische Post, 17.02.2001)

Zu viele Talkshows sind also nicht gewünscht; aber dass die etablierten Talkshows ihr Stammpublikum und damit die notwendigen Einschaltquoten bringen, ist unbestritten, denn sonst hätten sie sich nicht so lange im Programm der Privatsender halten können. Wie Talkshows wirken, erforscht Jürgen Grimm, ein Mannheimer Kommunikationswissenschaftler. 472 Zuschauer wurden über ihr Hauptmotiv befragt, warum sie sich tagsüber eine Talkshow anschauen. Das Ergebnis: Die meisten amüsiere es, wie dämlich manche Gäste seien und außerdem regen sie sich gerne über die Moderatorin oder den Moderator auf. Durch das niedrige Niveau können die Zuschauer ihr Selbstbewusstsein heben und ein Gefühl der Überlegenheit entwickeln. Talkshows sind nach Grimm Ausdruck einer Moralkrise und der Versuch ihrer Bewältigung. Neben Alltagswissen und Werten vermitteln sie dem Zuschauer emotional das Gefühl, selbst besser zu sein als die Teilnehmer. Dadurch kann der Zuschauer „Gefühlsmanagement optimieren“. (www.uni-mannheim.de/vfm/talkshow.htm/; auch: Jens Voss: Je dämlicher die Gäste ... In: Rheinische Post, 15.01.2001)

Darüber hinaus gibt es auch aktuelle Untersuchungen über den Lockerungseffekt und Entspannungswert von Talkshows. So hat Kevin Warwick, ein britischer Wissenschaftler, festgestellt, dass Versuchpersonen die besten Ergebnisse bei einem Intelligenztest erzielten, wenn sie zuvor eine halbe Stunde eine Talkshow gesehen hatten. Die Versuchspersonen schnitten besser ab als diejenigen, die zuvor sich mit Kreuzworträtseln, Meditieren oder klassischer Musik entspannt hatten. Warwick erklärt diese Wirkung von Talkshows damit, dass sie für eine lockere Atmosphäre sorgen und das Gehirn „aufwärmen“, ohne es zu belasten. (Psychologie Heute. Zitiert nach „Machen Talkshows doch schlau?“ In: Rheinische Post, 10.01.2001)

Neben solchen verallgemeinernden Aussagen aus umfangreichen Befragungen und Studien regen auch einzelne Fallbeispiele an, über die Wirkung von Talkshows nachzudenken. Deshalb werden hier zwei authentische Äußerungen vorgestellt, die in rhetorischen Lehrveranstaltungen aufgezeichnet worden sind. Bei dem ersten Beispiel handelt es sich um die Einschätzung einer Schülerin vom 13.06.2000. Zu diesem Zeitpunkt hat sie die Klasse 11 eines Düsseldorfer Gymnasiums besucht. Aufgenommen wurde die Äußerung im Rahmen eines Rhetorik-Schulprojektes der Heinrich-Heine-Universität. Interessant an der Meinungsäußerung dieser Schülerin ist, dass sie einen persönlichen Bezug zu dem Thema Talkshows hat: Sie hat selbst bereits einmal an einer Talkshow teilgenommen. Bei dem zweiten Beispiel handelt es sich um die Äußerung einer Studentin der Universität-Gesamthochschule Essen. Im Rahmen meiner Lehrveranstaltung „Praktische Rhetorik für die Schule“ im Sommersemester 1998 hatte sie die Aufgabe, sich konstruktiv mit dem Sprechverhalten von Bärbel Schäfer auseinander zu setzen. Da beide Äußerungen für sich selbst sprechen, werden sie hier nicht weiter kommentiert.

 

Beispiel 1

„Mh (muss lachen, schluckt; Blickkontakt; im ersten Teil der Rede Manuskript in beiden Händen, dann zwischenzeitlich weggelegt) also ich hatte das Thema Talkshows / und ich hab ich berichte jetzt über einen Artikel aus dem Spiegel von 1997 / da heißt's ‘Tyrannei durch Schwätzen über Intimität’ \ eh ja zum Thema Talkshows jeder kennt Talkshows jeder hat schon Talkshows geguckt / war vielleicht selbst schon mal in 'ner Talkshow / der ganze Talkshow-Wahnsinn beginnt schon morgens um 11 Uhr / mit dem Herrn Kerner / um 12 Uhr die Vera / um 13 Uhr Sonja / 14 Uhr die Arabella um 15 Uhr Bärbel 16 Uhr der Hans Meiser und 17 Uhr der Jürgen Fliege \ ehm das was früher über den Gartenzaun eh ausgetauscht wurde wird heute in Talkshows erzählt / von ‘Hilfe ich bin sexsüchtig’ bis / ‘Er gibt sich jedes Wochenende die Kante’ / wird über alle möglichen Themen in Talkshows diskutiert \ und aus meiner Erfahrung kann ich erzählen dass ich selbst schon mal zu Gast in 'ner Talkshow war / zum Thema ‘Hilfe ich hab mich geirrt ich lieb dich doch’ / und ehm ' ja das war eigentlich auch nur 'ne Spaßaktion das hatte viel mehr mit Selbstdarstellung zu tun / als dass ich irgendwie jetzt in der Talkshow Hilfe bekommen soll / durch's Diskutieren oder ich weiß nicht was das war das war eher nur mal so zum Spaß zum Ausprobieren \ ja ehm \ ehm was kann ich noch dazu erzählen / eha / jetzt hab ich eigentlich gar nichts mehr zu sagen / ja“ L: „Ok“ [Applaus der Mitschüler/innen]      (86 sec.)

 

Beispiel 2

„Ja ich heiß Nicole / ich möchte euch heute etwas über ^Bärbel Schäfers Sprechverhalten erzählen // ja Bärbel Schäfer denk ich kennt sicherlich âuch jeder von euch / also ^sie moderiert äh auf RTL eine gleichnamige Talkshow / von circa 60 Minuten Länge / und ähm ja es werden halt Gäste zu einem bestimmten ^Thema eingeladen und darüber wird dann gemeinsam gesprochen und diskutiert \\ äh die ^Zielgruppe Bärbel Schäfers ist ‘ eher ähm  sind eher ^Jugendliche und vielleicht auch noch junge Erwachsene / Sie selber ist âuch ähm ja eine junge Erwachsene und ‘ wirkt dadurch dann sehr überzeugend \ äh ^Bärbel Schäfer spricht in kurzen und knappen Sätzen / und sie benutzt so gut wie nie Fremdwörter / daraus ähm resultiert natürlich dass sie ‘ leicht zu verstehen ist und die Zuschauer ihr gut folgen können \ 2 sec \ ^Das was sie sagt betont sie gut ^spricht laut klar und deutlich und ähm sie verschluckt nicht irgendwelche Silben oder nuschelt \ 2 sec \  ähm / 2 sec / ^Bärbel Schäfer spricht die Leute direkt an / und sieht ihnen in die Augen / ja da ähm so erhält sie natürlich von ihren Gesprächspartnern eine ^direkte Rückmeldung durch Mimik oder Gestik und ähm baut auch einen persönlichen Kontakt zu ihnen auf  \ âlso sie weiß dann ob sie ähm auf irgendetwas nochmal ^neu eingehen muss oder ob die Leute es halt ob die Leute sie so verstanden haben wie sie sich ausgedrückt hat \ 2 sec \ ähm ^Bärbel Schäfer ist kompetent locker und überzeugend / spricht mit ^fester Stimme / und das ähm erhöht natürlich ihre Glaubwürdigkeit \ ^sie hat eine offene Haltung / das heißt sie klammert sich nicht an irgendwelchen Gegenständen fest / damit sie weiß wo sie ihre ‘ Hände hat / sondern / 2 sec / ähm / strahlt dadurch ‘ durch ihre offene Haltung eine natürli- natürliche Gestik aus und ihre Hände können sich so auch noch ähm passend zum Inhalt bewegen \\ ^Durch ihre Mimik unterstreicht sie zusätzlich noch das was sie sagt / äh / Bärbel Schäfer redet ^sehr schnell und ôhne viele Pausen / und dadurch kommt es des öfteren zu Füllwörtern wie ähm oder äh oder auc- oder aber auch dazu dass sie gleiche Wörter wiederholt \ in einem Satz \ also sie ^fragt dann zum Beispiel die Leute ‘ was was sagst du denn dazu \ 2 sec \ ja wenn Bärbel Schäfer bei mir ein ^Weiterbildungsseminar besuchen würde / so würde ‘ ich ihr raten oder sagen zuerst einmal dass mir ihre ^Mimik ihre Gestik ihre feste Stimme ihre offene Haltung und ihre deutliche Aussprache sehr gut gefallen / und was mir ^nicht so gut an ihr gefällt ist dass sie halt ‘ sehr schnell redet / und es dadurch zu vielen störenden ‘ Füllwörtern kommt / ja in diesem Fall würde ich ihr halt Mut zur Lücke also zur Pause raten \ Das war’s \“                 (2 min, 38 sec)

 

Anmerkung zur Transkriptionsweise:

Wegen der Lesbarkeit und Handhabbarkeit in der Lehre wird eine stark vereinfachte Transkription verwendet. Neben dem Wortlaut werden nur die wichtigsten sprecherischen Merkmale erfasst und ggf. wesentliche Aspekte der Situation und Körpersprache in Klammern notiert.

 

(Leerzeichen) ‘ (Leerzeichen)

kurze Staupause

/

Pause mit schwebender Kadenz

\

Pause mit fallender Kadenz

\\

Absatzpause

\ x sec.\

längere Pause

^

besonders auffällige Betonung