Denken ist Voraussetzung für das
Sprechen. In der Regel ergreift man nur dann das Wort und spricht etwas aus,
wenn man anderen etwas mitzuteilen hat. Gedanken drängen zur Rede, das Denken
vollendet sich im Wort. Denken und Sprechen verlaufen parallel, nicht
nacheinander. Die Verfertigung der Gedanken beim Reden kann man in
Unterhaltungen und Diskussionen überall beobachten. Man sieht, wenn sich in
einer Diskussionsrunde einer vorlehnt oder aufrichtet, dass er einen Gedanken
hat, den er aussprechen möchte. Bei Sprechbeginn hat er den Gedanken selbst
noch gar nicht zu Ende gedacht. Er weiß noch nicht im einzelnen, was er wie
formulieren wird. Erst während des Sprechens entwickelt er den Gedanken, und
mit der Formulierung wird der Gedanke für den Sprecher selbst klar. Diese Möglichkeit
zum Sprechdenken fördert das sokratische Gespräch.
Innere und äußere Sprache
Zwischen dem Gedanken und der Ausformulierung des Gedankens in der äußeren, für
andere verständlichen Sprache steht die innere Sprache. Sie kann als ein Denken
in sprachlichen Begriffen aufgefasst werden. Die innere Sprache ist stark verkürzt
und beschränkt sich auf die Hauptvorstellungen. Drängen Gedanken zur Rede, so
werden sie in der inneren Sprache nicht direkt als ganze Sätze geplant und
formuliert, die es nur noch auszusprechen gilt. Vielmehr wird in der inneren
Sprache nur die Hauptvorstellung sprachlich gefasst. Der Sprechdenkprozess geht
von diesen Hauptvorstellungen aus. Sie werden in die vorgegebenen Satzrahmen,
die der Sprecher beherrscht, ausgeformt und mit Hilfe der sprecherischen
Ausdrucksmittel für andere verständlich artikuliert. In einem Stichwortkonzept
hält man nur seine Hauptvorstellungen in den eigenen Kürzeln fest. Denken und
Sprechen laufen etwa gleichzeitig ab. Sie beeinflussen sich während des
Sprechdenkvorgangs wechselseitig. Würde man nicht frei sprechdenkend die
Hauptvorstellungen zu Sätzen formulieren, sondern ganze Sätze schon in
Gedanken vollständig ausformulieren und dann aussprechen, so führte dies zu
einer ständigen Phasenverschiebung zwischen Sprechen und Denken. Es würden
lange Pausen zwischen den Sätzen entstehen, weil der nächste Satz erst wieder
still (in Gedanken) vollständig vorgeplant werden müsste. Der Redefluss würde
ins Stocken geraten.
Dieses traditionelle sprecherzieherische Modell des Sprechdenkens wurde von
bereits von Erich Drach,
dem Begründer der modernen Sprechkunde
und Sprecherziehung
beschrieben. Moderne psycholinguistische Modellierungen des Sprachproduktionsprozesses
bestätigt dieses didaktische Konzept.
Lautes Lesen und Selbstgespräche
Beim (halb)lauten Lesen versteht man schwierige Texte besser. Denn das Verstehen
ist immer mit Impulsen an den Artikulationsorganen
verbunden ist. Selbstgespräche werden oft als Verrücktheiten einzelner
Menschen abgetan. Dabei handelt es sich entweder um Gefühlsausbrüche oder um
Sprechdenken. Stößt man sich das Knie fest an einem Tischbein, kann man sich
vor Schmerz ein lautes Aua meist nicht verkneifen. Oder wenn die gerade
geordneten Notizblätter vom Schreibtisch rutschen, entfährt vielen vor Ärger
ein Schimpfwort. Das Sprechdenken in Selbstgesprächen ist oft nur ein
halblautes Sprechen. Es dient wie das laute Lesen schwieriger Texte dem besseren
Verstehen. Selbstgespräche sind notwendig, wenn sich die Gedanken überstürzen,
wenn man schwierige Probleme lösen oder tief im Gedächtnis vergrabene Inhalte
wieder erinnern möchte. Alles, was einem in den Sinn kommt, wird direkt
ausgesprochen und formuliert. Durch das Formulieren fügen sich die Gedanken in
eine bestimmte Ordnung: man erkennt Reihenfolgen, Abhängigkeiten,
Wechselbeziehungen usw. Aber auch bei alltäglichen Anlässen wie Einkaufszettel
aufschreiben oder Tagesplan erstellen, murmeln manche vor sich hin: Was steht
für heute auf dem Programm? Erst telefonieren, nein erst in der Akte
nachschauen, dann anrufen, welche Punkte sind unklar? 1. ..., 2. ..., dann das
Angebot faxen, E-Mails lesen, Teambesprechung ...
Dass das Aussprechen dem Denken zu mehr Klarheit verhilft, wusste schon Heinrich
von Kleist, der seine Beobachtungen über den Zusammenhang von Sprechen und
Denken in dem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken
beim Reden" zusammengefasst hat.
Fragen setzen das Sprechdenken in Gang
Auf eine Frage weiß man immer eine Antwort bzw. entwickelt sprechdenkend eine mögliche
Antwort. Die Frage-Strategie wird im sokratischen Gespräch benutzt. Man
sich aber auch selbst rhetorische Fragen stellen, wenn man eine Sache klären
will oder aus dem Stegreif Stellung nehmen soll. Mit der Frage-Strategie kann
man auch neue Gedanken allmählich verfertigen, aber Vorsicht: Sie haben keine
genaue Kontrolle über das, was Sie sprechdenkend entwickeln. Werden von Ihnen
klare Positionen, bestimmte Preise, Leistungsangebote o. ä. erwartet, sollten
Sie besser vorbereitet sein. Wenn Sie Ihre Positionen nicht vorher festgelegt
haben, sondern sich nur auf Ihr entwickelndes Sprechdenken verlassen, sagen Sie
vielleicht etwas, das Ihnen später leid tut. Wenn Sie sich im Nachhinein schon
des öfteren über Ihre Angebote oder Zugeständnisse geärgert haben, kann das
vielleicht daran liegen, dass Sie vorher Ihren Verhandlungsspielraum nicht genau
genug festgelegt haben.
Flüssiges Sprechdenken wird gefördert durch
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